Jede Krise birgt ihre Chance

Das ist nicht mehr die Zeit für Egoismen, Hamsterkäufe und persönliche Vorteile auf Kosten anderer. Diese Krise werden wir nur als Gemeinschaft bewältigen. Jetzt ist es Zeit für systemisches Denken. Denn systemisch Denken heißt, die Zusammenhänge zu erkennen, die uns in diese Krise führen, und die Synergien zu nutzen, die entstehen, wenn alle sich auf ein gemeinsames Ziel fokussieren, das für viele im Moment nichts weniger heißt als überleben.

Wir haben Panzer und Raketen und fühlen uns so stark, als könnten wir die Welt beherrschen, wenn wir nur genug Gewalt ausüben, glauben, mit unserer Technik könnten wir jedes Problem lösen. Und da kommt ein kleiner Virus, den kein Auge erkennt, und der die Macht hat alles zu zerstören, was sich die westliche Welt geschaffen hat. Alles, was so sicher schien und von dem wir glaubten, es könne immer so weitergehen, stellt sich von einem Moment auf den anderen als Irrweg heraus. Viel schneller, als eine Klimakrise es jäh uns hätte zu zeigen vermocht. Ein eindrucksvoller Vorgeschmack auf das, was uns noch bevorsteht, wenn wir nicht anfangen umzudenken.

Und dieses Umdenken muss radikal erfolgen. Wir müssen beginnen, uns als Teil eines Ganzen zu begreifen, das nicht weniger ist als die Menschheit selbst. Aber mehr ist als die Summe seiner Teile, wie es bereits Aristoteles formulierte. Jetzt gilt es, die Ressourcen und Potentiale zu erschließen, die entstehen, wenn Menschen sich miteinander vernetzen und ihre Fähigkeiten zum Wohle aller einsetzen. Es steckt so viel Kreativität und Energie in uns, die in der Isolation verkümmern oder sogar destruktiv wirken, sich aber im Zusammenwirken potenzieren und zu einer konstruktiven Kraft werden können. Diese Krise ist die Chance, zu lernen, wie wir die Krisen bewältigen, die noch vor uns liegen und ihre Schatten bereits vorauswerfen.

Da fällt mir ein russisches Märchen ein:

Ein Rabbi kommt zu Gott: „Herr, ich möchte die Hölle sehen und auch den Himmel.“ - „Nimm Elia als Führer“, spricht der Schöpfer, „er wird dir beides zeigen.“ Der Prophet nimmt den Rabbi bei der Hand.

Er führt ihn in einen großen Raum. Ringsum Menschen mit langen Löffeln. In der Mitte, auf einem Feuer kochend, ein Topf mit einem köstlichen Gericht. Alle schöpfen mit ihren langen Löffeln aus dem Topf. Aber die Menschen sehen mager aus, blass, elend. Kein Wunder: Ihre Löffel sind zu lang. Sie können sie nicht zum Munde führen. Das herrliche Essen ist nicht zu genießen.

Die beiden gehen hinaus: „Welch seltsamer Raum war das?“ fragt der Rabbi den Propheten. „Die Hölle“, lautet die Antwort.

Sie betreten einen zweiten Raum. Alles genau wie im ersten. Ringsum Menschen mit langen Löffeln. In der Mitte, auf einem Feuer kochend, ein Topf mit einem köstlichen Gericht. Alle schöpfen mit ihren langen Löffeln aus dem Topf.

Aber - ein Unterschied zu dem ersten Raum: Diese Menschen sehen gesund aus, gut genährt, glücklich. „Wie kommt das?“ Der Rabbi schaut genau hin. Da sieht er den Grund: Diese Menschen schieben sich die Löffel gegenseitig in den Mund. Sie geben einander zu essen.

Da weiß der Rabbi, wo er ist.